LINKE Vorschläge gegen Energiearmut

Zu dem Konzept zur Bekämpfung von Energiearmut der Sozialverwaltung, das am 18.10. im Sozialausschuss zur Beratung vorliegt, erklärt Niels Holger Schmidt, Ratsherr und Mitglied des Sozialausschusses für DIE LINKE:

„Aus unserer Sicht ist dieses 'Konzept' völlig unzureichend. Bis auf Selbstverständlichkeiten zur Öffentlichkeitsarbeit werden darin nur die Schaffung einer Anlaufstelle für Betroffene, die Bildung eines ‚Netzwerkes‘ verschiedener Beteiligter und ‚Wärmeinseln’ vorgeschlagen. Motto: ‚Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild' ich einen Arbeitskreis.’ Das wird nicht reichen, um große Gruppen in der Bevölkerung vor Energiesperren oder gar dem Verlust der Wohnung zu bewahren.

Welches Problem "Wärmeinseln" lösen sollen, wenn es – wie das Sozialamt schreibt – nicht um Nothilfe bei Totalausfall der Gasversorgung geht, bleibt schleierhaft. Keinem Menschen ist damit geholfen, sich eine Stunde in einem warmen Warteraum aufzuwärmen, wenn er auf Wochen und Monate zuhause aus finanziellen Gründen nicht heizen kann oder gar Gas und Strom abgestellt werden. Und eben darum geht es.

Abgesehen davon birgt die Ansammlung vieler Menschen in geschlossenen Räumen erhebliche Infektionsgefahren mit Corona oder Influenza. Bei den ‘Wärmeinseln’ gibt es einen unklaren Nutzen, aber sehr klare Gefahren. Das gilt umso mehr, als es dem Sozialamt laut seinem Konzept insbesondere um Seniorinnen und Senioren geht, die bei derartigen Infektionen besonders gefährdet sind. Auch Menschen, die in Armut leben, haben ein erhöhtes Risiko für schwere Corona-Verläufe, wie eine AOK-Studie jüngst wieder belegt hat. Das Sozialamt rechnet offenkundig mit Energiesperren für arme Menschen. So so soll es eine "Notfallunterbringung" für Fälle geben, "in denen individuelle Faktoren dazu führen, dass keine Versorgung mit Energie/Heizenergie mehr vorhanden ist." Welche "individuellen Faktoren'' das sein sollen, ist unklar. Da es nicht um den Katastrophenfall geht, können dies nur offene Energierechnungen sein.

Warum es sinnvoll sein soll, Menschen auf Stadtkosten in Hotels unterzubringen, statt Zugang zu Energie in ihrer Wohnung sicherzustellen, ist der Vorlage nicht zu entnehmen. Die Verwaltung gibt keine Antworten auf die eigentliche Frage: Wie sorgen wir dafür, dass Menschen nicht Strom und Heizung abgedreht werden oder sie ihre Wohnung verlieren?

Dafür gibt es wirksame Lösungen:

- Die ELE als Grundversorger mit erheblichem städtischen Anteil muss in der Energiekrise auf Strom- und Gassperren verzichten. In Oberhausen hat der Rat die Energieversorgung Oberhausen schon dazu aufgefordert.

- Wohnungsgesellschaften müssen auf Kündigungen von Mietverträgen wegen ausstehender Nebenkostenzahlungen verzichten. Dabei muss die städtische GBB mit gutem Beispiel vorangehen.

- Die Stadt muss einen Nothilfefonds auflegen, aus dem ausstehende Energierechnungen als zinsloses Darlehen beglichen werden, damit niemandem die Energie abgedreht wird und niemand seine Wohnung verliert.

- Der Oberbürgermeister muss auf die großen Wohnungsgesellschaften zugehen und einfordern, dass diese ebenfalls keine Kündigungen wegen ausstehender Nebenkosten aussprechen. Firmen wie die Vonovia haben bereits angekündigt, auf Kündigungen wegen ausstehender Nebenkosten nicht zu verzichten. Im Zweifel muss die Stadt auf solche Versuche offensiv mit dem Mittel der Beschlagnahmung des Wohnraums reagieren, damit Menschen nicht aus Energienot obdachlos werden. Das ist rechtlich möglich und geboten.

DIE LINKE wird im Sozialausschuss entsprechende Anträge einbringen."

Hier die Anträge im Volltext:

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziales möge beschließen:

Antrag 1: Verzicht auf Energiesperren

Der Ausschuss bittet die ELE sehr nachdrücklich, Energiesperren für private Haushalte mit geringem Einkommen bis auf Weiteres auszusetzen. Die Bottroper Mitglieder des Aufsichtsrates, Michael Gerdes (1. stellv. Vors.) und Kämmerer Jochen Brunnhofer, werden sehr nachdrücklich gebeten, in den Gremien der Gesellschaft eine Initiative für den Verzicht auf Energiesperren für zahlungsunfähige Personen zu ergreifen. Begründung: Die Corona-Pandemie hat teils verheerende Folgen für die finanzielle Situation vieler Menschen in Bottrop. Viele Menschen haben durch Kurzarbeit, den Wegfall von Zweit- und Nebenjobs oder ein Aussetzen der selbständigen Tätigkeit starke Einkommenseinbußen zu verkraften. Weitere Jobs sind durch die anhaltende Corona-Krise gefährdet. Für immer mehr Menschen droht dann die Privatinsolvenz. Die Verbraucherschutzzentrale NRW weist in ihrer Stellungnahme auf das Problem der wachsenden Energiearmut ebenfalls hin: https://www.verbraucherzentrale.nrw/pressemeldungen/presse-nrw/energiearmut-in-nrw-nimmt-zu-75723 Hinzu kommt die drastische Entwicklung der Energiepreise, die Menschen mit geringem Einkommen besonders stark trifft. Weitere Preiserhöhungen bei Strom und Gas sind für zahlreiche dieser Haushalte schlicht nicht mehr bezahlbar. Gerade in Zeiten der Pandemie darf das aber nicht zu Strom- und Gassperren und damit zu drastischer Energiearmut führen. Die Stadt und die ELE sind hier in einer besonderen sozialen Verantwortung. Ein Verzicht von Strom- und Gassperren muss als Sofortmaßnahme gegen Energiearmut umgesetzt werden. Die Strompreiserhöhungen belasten insbesondere die Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II oder XII, denn die Stromkosten sind in den allgemeinen Regelleistungen bereits enthalten. Wenn es im Verlauf des Jahres zu den Jahresabrechnungen kommt, werden viele Bezieher von staatlichen Transferleistungen Nachzahlungsaufforderungen bekommen, die sie aus ihrem laufenden Einkommen nicht mehr bezahlen können. Neben der Anhäufung von Schulden droht ihnen dann die Stromsperre. Nach Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) kann die Sperre bereits ab einem Zahlungsrückstand von 100 Euro durchgesetzt werden. Wie aus dem aktuellen Monitoringbericht der Bundesnetzagentur (BNetzA) und des Bundeskartellamtes hervorgeht, nahm die Zahl der Stromsperren in den vergangenen drei Jahren deutlich zu. Insgesamt wurde 2013 bundesweit die Versorgung mit Strom von 344.798 Anschlüssen unterbrochen (2012: 321.539; 2011: 312.509)3. Die Versorgung mit Elektrizität ist in unserer Gesellschaft eine Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Wohnen und für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Weitere Begründung: Erfolgt mündlich.

Antrag 2: Nothilfefonds

In den Haushalt für das Jahr 2023 soll ein Etatposten in Höhe von 700.000 Euro für einen Nothilfefonds für Menschen mit Miet- und Nebenkostenrückständen eingestellt werden. Ziel ist die Vermeidung von Räumungsklagen und daraus folgende Wohnungslosigkeit aufgrund finanzieller Notlagen. Die Verwaltung wird gebeten, Vorschläge für einen Bewilligungsmechanismus und entsprechende Abwicklungsprozeduren zu machen. Die Zuwendung soll zunächst als zinsloses Darlehen gewährt werden.

Begründung: Erfolgt mündlich.

Antrag 3: Keine Kündigungen von Mietverhältnissen bei der GBB

Der Ausschuss bittet die stadteigene Gesellschaft für Bauen und Wohnen Bottrop mbH (GBB) sehr nachdrücklich, keine Kündigungen von Mietverhältnissen aufgrund ausstehender Zahlungen von (Energie)Nebenkosten auszusprechen. Die Vertreterinnen und Vertreter der Stadt in Gremien der Gesellschaft, insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Göddertz, werden sehr nachdrücklich gebeten, in den Gremien der Gesellschaft eine Initiative für den Verzicht auf die o.g. Kündigungen zu ergreifen. Begründung: Erfolgt mündlich.

Antrag 4: Keine Kündigungen von Mietverhältnissen bei den Wohngenossenschaften

Der Ausschuss bittet die Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Bottrop eG und die Gemeinnützige Baugenossenschaft Kirchhellen eG, an denen die Stadt jeweils Minderheitsbeteiligungen hält, sehr nachdrücklich, bis auf Weiteres keine Kündigungen von Mietverhältnissen aufgrund ausstehender Zahlungen von (Energie)Nebenkosten auszusprechen. Der Vertreter der Stadt im Aufsichtsrat der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Bottrop eG wird sehr nachdrücklich gebeten, in den Gremien der Gesellschaft eine Initiative für den Verzicht auf die o.g. Kündigungen zu ergreifen.

Begründung: Erfolgt mündlich.

Antrag 5: Gespräch mit Immobiliengesellschaften & Vorbereitung von Beschlagnahmungen

Der Oberbürgermeister wird gebeten, alle Immobiliengesellschaften, die eine relevante Zahl von Mietwohnungen in Bottrop unterhalten, zu einem Gespräch zur Problematik von massenhaft drohender Energiearmut und daher nicht bedienten Nebenkosten bei Bottroper Mieterinnen und Mieter zu bitten. Dabei wird der Oberbürgermeister gebeten, sehr nachdrücklich bei den Wohnungsgesellschaften darauf hinzuwirken, dass diese bis auf Weiteres keine Kündigungen von Mietverhältnissen aufgrund ausstehender Zahlungen von Nebenkosten aussprechen. Gleichzeitig wird die Verwaltung gebeten, Vorbereitungen für eventuelle Beschlagnahmung von Wohnungen zu treffen, um Obdachlosigkeit wegen ausstehender Zahlungen abzuwenden.

Begründung: Mit der Vonovia hat bereits eine Gesellschaft mit erheblichem Marktanteil in Bottrop vor Wochen in einer Information für Anleger mitgeteilt, dass Kündigungen von Mietverträgen aufgrund ausstehender (Energie)Nebenkosten möglich sind und im Zweifel auch vollzogen werden. Darüber, wie sich andere große Akteure auf dem Bottroper Wohnungsmarkt in dieser Hinsicht verhalten wollen, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Angesichts der Tatsache, dass das Problem der Energiekosten absehbar noch mehrere Jahre erhebliche Auswirkungen auch auf dem Bottroper Wohnungsmarkt haben wird, bedarf es einer Strategie, um massenhafte Wohnungsverluste durch Energiearmut zu verhindern. Daher ist das oben beschriebene Gespräch des Oberbürgermeisters mit den Akteuren auf den Bottroper Wohnungsmarkt dringend angezeigt. Äußerungen der Vonovia zeigen exemplarisch, dass es noch nicht bei allen Beteiligten ein ausreichendes Problembewusstsein für diese Fragen gibt. Gleichzeitig ist die Stadt gut beraten, Vorbereitungen zu treffen, um die soziale Destabilisierung ganzer Stadtteile durch das Handeln kommerzieller Vermieter zu verhindern. Dabei können auch behördliche Beschlagnahmungen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit ein probates Mittel sein.

Weitere Begründung: Erfolgt mündlich.